Umbenennung des Hermann-Stehr-Wegs
Straßennamen prägen das Stadtbild. Deshalb ist es umso wichtiger zu reflektieren, inwieweit die Namen die Stadt repräsentieren (sollen) und diese ggf. anzupassen. Auch in Ulm ist zu prüfen, ob die Namensgeber aufgrund ihrer Vergangenheit einer solchen Honorierung würdig sind.Ein Themenfeld ist dabei die Vergangenheit des Nationalsozialismus.Obwohl in Deutschland die NS-Zeit vergleichsweise gut aufgearbeitet und thematisiert wird, gibt es immer noch einige sichtbare Spuren, die bisher unbeachtet blieben.
In Ulm wird dies in ausdrucksvoller Weise am Reichsadler sichtbar, der direkt im Zentrum Ulms am Finanzamt prangt. Nur das Hakenkreuz und der Eichenkranz wurden von diesem NS-Bau entfernt, der eigentliche Adler blieb dort. Der Reichsadler besteht in verschiedensten Formen bereits seit über 800 Jahren und wird auch noch bis heute in Form des Reichsadlers aus der Weimarer Zeit als Bundeswappen Deutschlands verwendet. Im Verlauf der Zeit veränderte sich der Reichsadler immer wieder und auch 1933 nahmen die Nationalsozialisten weitere Modifizierungen vor. Sie brachten einen Eichenkranz unterhalb des Adlers sowie ein Hakenkreuz auf der Brust des Adlers an. Genau diese NS-typische Darstellung des Reichsadlers prangt seit der Anbringung dessen durch Nationalsozialisten an der Ulmer Finanzbehörde. Trotz der entnazifizierten Form des Reichsadlers ohne Hakenkreuz und Kranz ist deutlich zu erkennen, dass dieser Reichsadler einen klaren positiven Bezug zur NS-Zeit hat und nicht aufgrund der langen Geschichte des Adlers dort eine weitergehende Daseinsberechtigung hätte.
Direkte Gründe für eine Umbenennung des Hermann-Stehr-Weg ergeben sich direkt aus den Kriterien bei der Benennung von Straßennamen der Stadt Ulm. Stehr profitierte aktiv am NS-Regime durch finanzielle Förderungen und Auszeichnungen. Ab 1935 war er Reichskultursenator und dadurch Funktionsträger des nationalsozialistischen Regimes. Er unterstützte außerdem die Übertragung der Befugnisse des Reichspräsidenten auf Hitler, was ihn in Verbindung mit den Verbrechen während Kriegszeiten sowie politischer Repression, aber auch menschenverachtender Propaganda bringt. Stehr unterstützte das NS-Regime von Anfang an, rechtfertigte die Morde anlässlich der Röhm-Affäre, beteiligte sich an den Bücherverbrennungen und legitimierte in politischen Stellungnahmen mehrfach die Handlungen der Nationalsozialisten.“Der alte Kämpfer Hitler ist mit den Landesverrätern in einer Nacht fertig geworden, der Staatsmann Hitler hat mit der Übernahme der Reichspräsidentschaft auch diese letzte Hoffnung auf die Gefährdung des neuen Reiches zunichte gemacht.“ [Stehr, Zum 19. August, in: DAZ 18.08.1934]Damit sind die Kriterien für die Umbenennung von Straßennamen der Stadt Ulm in den Punkten:
- – ehemaliger Funktionsträger des nationalsozialistischen Regimes (da Reichskultursenator)
- – Beteiligung an Verbrechen (Einschüchterung und Vorteilsnahme durch Bücherverbrennungen)
- – politische Propagierung von NS-Gedankengut (Legitimierung durch politische Stellungnahmen in Zeitungen)
mehrfach belegt und erfüllt.Die Stadt Ulm gibt selbst an, dass diese Kriterien Ausschlusskriterien sind und bereits ein Punkt ausreichend für die Beurteilung sein kann. Z.B. in Münster oder Steinfurt wurden Straßen, die nach Stehr benannt waren, bereits umbenannt.
Personen, die einen Bezug zu Ulm haben und als würdige Namensgeber*innen für Straßen und Orte definitiv geeignet wären, gibt es einige. Als Alternative für einen neuen Straßennamen schlagen wir Lina Einstein als Namensgeberin vor.Sie ist 1875 in Ulm geboren und die Cousine von Albert Einstein. Auch sie war jüdischer Herkunft und verbrachte ihr Leben in der Region, wo sie in diversen Firmen arbeitete, z.B. als Filialleiterin bei der Firma J. Arnold Chemische Waschanstalt und Färberei oder später als Telefonistin in den Wielandwerken. Zunächst wurde sie 1940 zwangsweise im Altersheim Oberstotzingen untergebracht. Am 22.08.1942 wurde sie dann zuerst nach Theresienstadt und von dort nach Treblinka deportiert und dort schließlich ermordet. Während seiner Zeit in Deutschland besuchte Albert Einstein sie einige Male, versuchte dann auch sich für sie einzusetzen und ihr eine Arbeitsmöglichkeit in den USA zu beschaffen, was leider nicht klappte.
Deshalb möchten wir uns als Grüne Jugend Ulm, Neu-Ulm, Alb-Donau dafür einsetzen, dass der Hermann-Stehr-Weg am Eselsberg im Rahmen einer progressiven Aufarbeitung der NS-Vergangenheit umbenannt wird sowie sich auch kritisch mit dem Reichsadler am Finanzamt auseinanderzusetzen. Dass es sich hierbei um unterschiedliche Zuständigkeiten handelt, ist uns bewusst.
In den kommenden Wochen werden noch weitere Aktionen stattfinden, um auf historische Aspekte im Stadtbild aufmerksam zu machen…. Ihr dürft also gespannt bleiben.
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